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Plan B: virtueller Event?

 

Am Wochenende vom 16. und 17. Mai fand das Urban Bike Festival zum ersten Mal «digital» statt. Da das Festival aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht wie geplant am letzten März Wochenende stattfinden konnte, entschied das Event-Team das Festival digital durchzuführen und entwarf in Rekordzeit ein neues Event-Konzept.

Wir haben Donald Nader, Mitgründer der Bike Days GmbH und erfahrener Event-Veranstalter, gefragt, wie sein Team diese Herkules-Aufgabe bewältigt hat und welche Erkenntnisse er persönlich aus dieser Erfahrung zieht.

 

Genau ein Monat vor dem geplanten Urban Bike Festival 2020 erliess der Bundesrat aufgrund der rasch ansteigenden Corona-Fälle ein Veranstaltungsverbot ab 1000 Personen. Wie schnell habt Ihr Euch für eine digitale Durchführung entschieden und warum?

Nach einer anfänglichen kurzen Schockstarre haben wir relativ schnell realisiert, dass wir alternative Szenarien evaluieren sollten, bevor wir eine finale Absage machen. Der Entscheid kam schnell. Wir haben innert wenigen Tagen eine Reko der Location mit einem völlig neuen Digital Production Team, Regisseuren und Technikern gemacht und eigentlich unmittelbar nach der Erteilung des Veranstaltungsverbots angefangen, das neue Konzept zu erarbeiten. Seither haben wir mit Hochdruck ausschliesslich daran gearbeitet.

 

Stand es nie im Raum, die Veranstaltung ganz abzusagen?

Wir waren uns zunächst natürlich unsicher. Aber es war auch schnell klar, dass eine Absage nicht die einzige Lösung sein kann. Wir sind Event-Leute – wir sind immer darauf eingestellt, dass es etwas Unvorhergesehenes passieren kann, es können immer Tausend Dinge schiefgehen. Da muss man sich vorher überlegen, was man dem entgegenhält. Müssen wir ganz absagen oder können wir einen Teil durchführen? Gibt es ein Alternativ-Datum? Eine Verschiebung fiel schnell aus dem Rennen, da es keinen passenden Termin gab. Darum war eigentlich schnell entschieden, den Event zu einer digitalen Version umzubauen.

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“Es war schnell klar, dass eine Absage nicht die einzige Lösung sein kann. Wir sind Event-Leute – wir sind immer darauf eingestellt, dass es etwas Unvorhergesehenes passieren kann.”
Donald Nader, Mitgründer der Bike Days GmbH und erfahrener Event-Veranstalter.

 

Beim Urban Bike Festival konnte man bisher das Velofahren «erleben», sprich Bikes ausprobieren, sich von Händlern beraten und von beeindruckenden Bike-Shows mitreissen lassen. Wie liess sich dieses Erlebnis digital übersetzen?

Nicht überall gleich gut. Es war uns sofort klar: Die haptische Erfahrung – anfassen, testen – fällt weg, ganz. Auch mussten wir von einem dreidimensionalen Raum in 360° auf ein zweidimensionales Bewegt-Bild umdenken. Das ist eine ganz andere Sache, nicht nur für den Betrachter, sondern auch in der Umsetzung.

Für Produktpräsentationen findet man Lösungen. Angesagte Neuigkeiten, die man sonst in der Expo findet, können audiovisuell sehr gut präsentiert werden, in kurzen Vorstellungen durch kompetente Fachleute, wie man es vom Fernsehen kennt.

Die fehlende haptische Erfahrung als Eventbesucher versuchten wir durch Interaktionen wettzumachen, bei denen jedermann von zu Hause mitmachen konnte. Es gab spielerische Komponenten mit edukativen Inhalten, wie etwa das Velo-Quiz mit konkreten, heiklen Verkehr-Szenen aus der Stadt Zürich. Das klassische Velo-Rennen auf der Strasse wurde mit einer E-Cycling-Challenge sehr spannend und mit hoher Bildqualität umgesetzt. Persönlich war ich recht überrascht, wie stark das rüberkam! Fabian Cancellara strampelte im Studio auf der Rolle, gleichzeitig sah man auf dem Screen, wo er virtuell im Rennen war. Verschiedene Leute konnten mitmachen und von zu Hause gegen ihn und andere Stars antreten. Das gibt eine neue Dimension, sowas kann man an einer Publikumsveranstaltung nicht machen. Wir haben versucht, alle Elemente des Urban Bike Festivals in dieses Programm zu packen und es möglichst spannend, abwechslungsreich und unterhaltend zu gestalten.


Das E-Cycling-Challenge mit Fabian Cancellara

Die Planung und Durchführung eines virtuellen Events stellen auch ein erfahrenes und routiniertes Event-Team vor neue Herausforderungen. Was hat Euch besonders Kopfzerbrechen bereitet?

Erstens würde ich sagen, war wohl der Zeitfaktor die grösste Schwierigkeit. Wir hatten zwar uns entschieden, eine digitale Veranstaltung zu machen, aber die Frage war wann. Niemand wusste, wann die behördlichen Auflagen gelockert würden und somit eine Umsetzung erlaubt wäre. Das führte zum Entscheid, das Urban Bike Festival Digital am ersten Wochenende nach der Lockerung zu machen. Diese kam dann am 11. Mai, was sofort unser Datum definierte – das Wochenende vom 16. und 17. Mai. Wir wussten zwar, dass jede weitere Woche Lockdown uns auch eine zusätzliche Woche Vorbereitung gibt, aber gleichzeitig geht mit längerer Zeit auch die Relevanz des Themas verloren. Wir konnten nicht bis August warten!

Das Zweite war das Umdenken für die Produktion. Man muss, wie vorher erwähnt, aus einer „Rundum-Wirkung“ auf ein zweidimensionales Bild gehen. Die Veranstaltung war für eine Fläche von ca. 80'000 m2 geplant, und plötzlich mussten wir alle unsere Themen logistisch auf die Fläche eines Studios runterbrechen. Das war schon eine Herausforderung.

 

Musstet Ihr gegen technische Probleme kämpfen?

Ja, aber wenig. Infrastrukturell hatten wir eine gute Ausgangslage, weil wir in der Schweiz überall einen hohen technischen Standard haben. Es gibt überall Glasfaser, nicht wie in anderen Ländern, wo noch Kupferleitungen im Boden der Standard sind. Das einzige, was ich mitgekriegt habe ist, dass es einmal hiess „Facebook down“. Woran das lag, kann ich nicht beurteilen, aber es ging relativ schnell wieder.

 

Waren die Hygiene-Massnahmen der BAG für die Produktion der Inhalte im Studio ein Hindernis?

Ein Hindernis nicht, aber sicher eine Erschwernis. Wir waren natürlich verpflichtet, die Corona-Sicherheitsregeln einzuhalten, und das machte uns das Leben auf der Produktion schon schwer. Es gibt einfach Dinge, die muss man zu zweit hochhieven. Wo wir konnten, haben wir es halt mit einem Hochstapler gemacht. Aber wir wussten im Vorfeld, dass wir da unter anderen Rahmenbedingungen arbeiten werden. Wir hatten für die Arbeiten am Set ein 6-seitiges Schutzkonzept und zwei Personen, die sich full-time darum kümmerten. Überall gab’s Desinfektionsstationen, persönliches Schutzmaterial und Bodenmarkierungen. Alle mussten unterschreiben, dass sie die Massnahmen einhalten werden.

Das «Konsumieren» von virtuellen Inhalten ist heute überall möglich – zu Hause wie unterwegs. Jedoch lässt man sich in der digitalen Welt schneller ablenken, als wenn man «live» dabei ist. Wie habt Ihr mit dem Publikum interagiert und sichergestellt, dass es über die ganze Veranstaltung engagiert bleibt?

Wir haben zwei Mal vier Stunden live produziert und gestreamt. Selbstverständlich hatten wir nicht die Erwartung, dass Leute zwei Mal vier Stunden vor dem PC oder vor dem Handy sitzen. Das Programm hat man eher so gestaltet, dass man Themenblöcke definiert hat, immer zur vollen Stunde beginnend. So wusste man, wann was kommt, konnte gezielt reinschauen und dazwischen auch mal was anderes machen.

Die Vielfalt des Programms ist ein wichtiger Aspekt, um Zuschauer zu halten. Wir haben versucht zu verhindern, dass es langweilig wird, indem wir viele verschiedene Inhalte angeboten haben und dann aber auch den Mut gehabt, ein bisschen locker und unperfekt zu sein und alles mit einem Smile zu nehmen. Wie unser Regisseur sagte: Wir mussten verhindern, dass der Zuschauer den Daumen bewegt, weil dann ist er weg. Und er wird eher den Daumen bewegen, wenn es langweilig wird, als wenn ein Fehler passiert – das ist per se spannend. Wenn man während eines Interviews einen kurzen Studio-Umbau mitkriegt, oder beim Laufen auf einer Treppe das Bild etwas wackelt, so gehört das zum Style dieser Sende-Art, und der Zuschauer hat das Gefühl, auch behind the scenes dabei zu sein.

 

Welche Erkenntnisse ziehst Du persönlich aus dieser Erfahrung und wie denkst Du, wird die COVID-19-Pandemie die Veranstaltungsbranche für die Zukunft prägen?

Eine Erkenntnis hat sich für mich bestätigt: Eine digitale Veranstaltung ersetzt den Live-Event nicht. Musik-Fans merkten es spätestens nach dem WHO-Konzert, das Lady Gaga organisiert hat – es ist einfach nicht dasselbe, es fehlt die Unmittelbarkeit und die damit verbundene Emotion.

Digitale Elemente können aber Live-Events sehr wohl zusätzlich bereichern. Bei einem Live-Event hast Du nicht die Möglichkeit, eine Stunde zuzuschauen, wie Fabian Cancellara sich auskotzt und schwitzt – so nah dran. Du hast auch nicht die Möglichkeit, in einem Spiel gegen Fabio Wibmer Mountain Bike Super Hero zu spielen und auch gegen ihn zu gewinnen! Das ist erstmal unsere Konklusion aus dieser Erfahrung, und ich sehe für die Zukunft eine Art Hybrid-Veranstaltung mit beiden Elementen, die sich gegenseitig bereichern. Der Kern muss aus meiner Sicht die Live-Veranstaltung bleiben, die dann aber verstärkt und erweitert werden kann durch die digitale Dimension. Auch können Leute zuschauen, die nicht kommen konnten.

Ich sehe aber auch, dass man noch mindestens 1-2 Jahren lang bei jeder Planung immer das Corona-Szenario mitdenken muss. Man wird nicht von heute auf morgen wieder Events mit grossen Massen machen können. Das wird uns nicht ein zweites Mal überraschen.

 

Was würdest Du denjenigen raten, die einen virtuellen Event veranstalten möchten?

Uns zu engagieren dafür!

Nein, ich glaube, wir haben in den letzten Wochen gemerkt, mit den ganzen Firmen, die jetzt plötzlich virtuelle Konferenzen machen müssen, da hat jeder eine erste Lernkurve hinter sich. Der 55-jährige Manager weiss jetzt neuerdings auch, wie Video Conferencing geht. Vorher hat es ihn nicht interessiert und sein Leben nicht berührt, aber fortan wird es ihn betreffen. Man muss es jetzt weiter professionalisieren, es muss noch besser werden, die Lernkurve geht weiter und wird steiler.

Meine ersten Gehversuche mit Bewegtbildern auf dem Internet waren tatsächlich vor der Jahrtausendwende, von einer Schneesport-Veranstaltung im Winter 1996/97. Das ist über 20 Jahre her und hatte natürlich weder die technischen Mittel noch die Qualität von heute. Es war viel komplizierter, dreimal so teuer und fünfmal schlechter. Aber die Erfahrung, produktionstechnisch, ist bei einigen schon vorhanden.

Einer der grossen Vorteile der Digitalisierung ist, dass man bedeutend mehr Leute erreichen kann. Das heisst, wir haben 4 Stunden live produziert und hatten dabei ca. 30'000 bis 40'000 Zuschauer. Gleichzeitig haben wir jetzt hochqualitatives aktuelles audiovisuelles Material, das man in den nächsten Monaten in verschiedenen Bereichen nutzen kann. Die Clips werden alle über verschiedene Kanäle weiterverbreitet. Alle Produkteaussteller z.B. erhalten ‘ihren’ Clip, den sie über ihre eigenen Promotionskanäle verbreiten können, jeder Sponsor, jeder Athlet wird das Material auf seinen eigenen Kanälen nutzen. Das Potenzial ist viel grösser als die 30'000 Live-Zuschauer im Streaming, oder 25'000 Besucher vor Ort. Dementsprechend zählte das Urban Bike Festival Digital zum Zeitpunkt dieses Gesprächs bereits über 1 Mio. Aufrufe im Internet.